Mork vom Ork Grünes Mitglied Alter: 56 Geschlecht: Beiträge: 10925 Wohnort: Berlin
Verfasst am: Freitag, 02.06.2006, 11:32 Titel:
PRESSE: Lockruf des Goldes - TV-Spielfilm über Call-In-Shows
Das Geld scheint greifbar nah: CALL-IN-SHOWS machen Millionen Deutsche zu Zockern. Reich werden allein die Sender.
"Schnell, rufen sie jetzt an! Gleich schlägt der HotButton zu!" Eine Epidemie greift um sich in Deutschland. Hunderttausende sind schon infiziert. Überträger der Krankheit ist das Fernsehen. Ihr Name: Call-In-TV-Wahn. Fünf Jahre ist es her, dass 9Live als erster interaktiver Quizsender an den Start ging. Heute wütet der Telefonterror 68 Stunden täglich und auf immer mehr Kanälen. Viva Plus und DSF, Das Vierte und Tele5, ja sogar Pro7 und Sat.1 verwandeln Wohnzimmer in Daddelhallen und Zuschauer in Zocker. Denn das große Geld scheint greifbar nahe: Anruf genügt und der riesen Jackpot ist einem so gut wie sicher - so das Versprechen. Doch sicher ist in wirklichkeit nur eins: dass Call-In-TV-Sender mit der Telefonitis der Deutschen einen Riesenreibach machen.
Ismaning, 20 Kilometer vor München: Am Firmensitz von 9Live ist die Stimmung blendend. "Wir haben den deutschen Fernsehmarkt revolutioniert", frohlockt 9Live-Geschäftsführer Marcus Wolter und zeigt auf einen Metallbaum mit drei Fernsehern in der Ecke seines Büros. Drei Call-In-Shows verschiedener Sender laufen simultan. "Die Konkurrenz kopiert uns, wo sie nur kann, aber nur wir bieten das Original." Der 38-Jährige gefällt sich sichtlich in der Rolle des Chef-Innovators der TV-Branche. Schließlich war er es, der die im Dauerdefizit dümpelnde Klitsche TM3 binnen Monaten zum hoch rentablen Mitmachsender aufmöbelte. 54 Millionen Euro Umsatz hat Wolters Quizfabrik im zweiten Halbjahr 2005 gemacht. Und das mit einem Programm, dessen Produktion kaum etwas kostet.
Gesendet wird aus einem Backsteinhaus gleich neben dem schnieken Verwaltungsklotz. Ein paar Pappkulissen, zwei Kameras und eine Pinnwand, viel mehr braucht man nicht für Shows wie "Funny Money" oder "Der unfassbare Gewinn". Ein Telefonklingeln ertönt: "Hallo, wer ist dran?", fragt Tina Kaiser vergnügt in die Kamera. Die blonde Moderatorin spielt mal wieder das Wortratespiel: Zuschauer sollen Wörter raten, die mit "Auto..." anfangen. "Hier ist Gisela", antwortet die Anruferin. Sie tippt auf "Automat". "Jaa, richtig, 50 Euro für Dich. Uiuiui, geht hier heute wieder das Geld raus!"
Eine Million Euro spielt 9Live nach eigenen Angaben jeden Monat aus. Klingt verlockend. Wie viele Pechvögel jedoch für 49 Cent lediglich die Bandansage "Diesmal hat es leider nicht geklappt" zu hören bekommen, ist ein streng gehütetes Betriebsgeheimnis. Branchenkenner schätzen, dass 9Live pro Jahr an die 200 Millionen Calls verbucht. Das wären mehr als eine halbe Million Anrufer am Tag! Gerade mal 200 von Ihnen nehmen einen Gewinn mit, der im Schnitt bei 150 Euro liegt. Jeder Geldspielautomat in der Kneipe schüttet gemessen am Einsatz mehr aus. Wer partout mit Hilfe des Fernsehens reich werden will, sollte lieber ein bisschen büffeln und sich bei "Wer wird Millionär" bewerben.
Das scheint sich auch in der TV-Zocker-Szene herumzusprechen. Gibt man bei Google "9Live" und "Abzocke" ein, erhält man mehr als 10.000 Treffer. In Internetforen lassen hunderte Mitspieler Ihren Frust ab. Marc Döhler, der die Website www.citv.nl betreibt, ärgert sich vor allem über die psychologischen Tricks der Moderatoren: "Die suggerieren zum Beispiel durch Countdownzählen, dass gleich ein Anrufer durchgestellt wird, was dann aber oft gar nicht passiert. So wird der Zuschauer systematisch getäuscht." Kritik kommt auch von offizieller Seite. Die bayerische Medienaufsicht BLM hat alleine im vergangenen Jahr 15 Verwarnungen gegen Call-In-TV-Sender ausgesprochen - in den meisten Fällen wegen mangelnder Transparenz der Spielregeln. Marcus Wolter will von all dem nichts hören. Fragt man Ihn nach seinen Antworten auf die Kritiker, bekommt man Phrasen aus der Marketingbroschüre um die Ohren gehauen: "Unsere Spiele sind transparent und fair. Alle Mitspieler haben die gleichen Chancen." Na dann...
Für Tina Kaiser ist gleich Schichtende. Rund 2.500 Euro hat Sie in einer Stunde unters Volk gebracht. "Schnell, letzte chance, gleich schlägt der Hot Button wieder zu!" Tatsächlich: "Hallo, hier ist der Manfred", stellt sich der Anrufer vor und rät "Autokofferraum". Die beiden Kameraleute werfen sich einen viel sagenden Blick zu. "Ui, Manfred, schade, das ist leider nicht unter den Lösungen. Aber ich schenk Dir was". Manfred darf im Callcenter seine Adresse hinterlassen und sich auf ein kleines Plüschtier freuen. Wie lautet doch gleich das Motto des Senders: "Schlau gewinnt"
Quelle: TV-Spielfilm XXL - Nr. 12/06 verfasst von Christian Holst
Nur Sie entscheiden, ob die protokollierten Anrufer echt sind oder nicht.
Die in diesem Beitrag gemachten Aussagen können, müssen aber nicht den Tatsachen entsprechen.
Lt. TAZ ein "leidenschaftlicher Hasser von grenzdebilen Anrufsendungen".
Dieser Beitrag wurde verfasst vom Benutzer: Mork vom Ork
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